Adelbert von Chamisso ist besonders für seine Novelle „Peter Schlemihls wundersame Geschichte“ bekannt, in der der Protagonist seinen Schatten verkauft und dadurch zum Außenseiter wird. Doch Chamisso war weit mehr als ein Dichter der Romantik: Er war ein bedeutender Naturforscher, Weltreisender und Schriftsteller, dessen Erbe im brandenburgischen Kunersdorf gepflegt wird.
Den Chamissoplatz in Kreuzberg und vielleicht auch sein Denkmal am Monbijouplatz in Mitte kennen fast alle Berliner. Doch Inspirationsort und eine wichtige Station seines Lebens war für Adelbert von Chamisso vor allem Kunersdorf im Oderbruch, damals noch mit „C“ geschrieben.
Dem Ort kurz vor Wriezen hat Theodor Fontane ein ganzes Kapitel in seinen „Wanderungen“ gewidmet: „Eine Einfahrt von der Dorfgasse her bildet sogleich die Scheidelinie zwischen den ausgedehnten Wirtschaftsgebäuden zur linken und den Wohngebäuden zur rechten Seite. Das Schloss ist in jenem Stil gebaut, der damals in der Mark ausschließlich Geltung hatte und am richtigsten als ‚verflachte Renaissance‘ bezeichnet worden ist. …, dahinter ein Gartensalon und von dem Salon aus ein Blick in den Park. …“
Damals gehörte das Cunersdorfer Gut mit seinem berühmten Musenhof und fortschrittlicher Agrarökonomie zu den geistig kulturellen Zentren der Mark nach dem Vorbild der Berliner Salons um 1800. Künstler, Wissenschaftler und Schriftsteller kamen zu Besuch und schätzten den aufgeklärten Geist der weltoffenen und experimentierfreudigen Gastgeber. Peter Alexander von Itzenplitz und seine Frau Henriette Charlotte übernahmen 1803 das Gut Cunersdorf und setzten die fortschrittlichen Ideen der Frau von Friedland konsequent fort. Helene Charlotte von Lestwitz, die nach ihrer Scheidung den Namen „Frau von Friedland“ tragen durfte, hatte die Friedländischen Güter – darunter auch Cunersdorf – zu einer Musterwirtschaft entwickelt. Durch innovative Ackerbaumethoden steigerte sie die Erträge, verbesserte die Arbeitsbedingungen der Bauern und engagierte sich für das Schulwesen. Zudem legte sie eine umfangreiche Pflanzensammlung an und begründete ein Herbarium, das ihre Tochter Henriette Charlotte von Itzenplitz weiterführte.
So zog das Gut nicht nur Künstler und Gelehrte, wie Schadow, Rauch oder die Humboldts zum geistigen Austausch an, sondern ebenso Gelehrte, wie Karl Ludwig Wildenow, Direktor des Botanischen Gartens in Berlin, oder den Zoologen und Forschungsreisenden Hinrich Lichtenstein, die für den Werdegang Chamissos prägend waren.
Adelbert von Chamisso kommt im Sommer 1813 nach Cunersdorf, nachdem er sein Studium der Naturwissenschaften und Medizin an der Berliner Universität abbrechen musste. Zwar preußischer Leutnant, aber eben als Franzose, ist er während der Befreiungskriege gegen Napoleon nicht mehr sicher in Preußen. In dieser für ihn schwierigen Situation vermittelt ihn sein Lehrer Hinrich Lichtenstein als Gast auf das Gut der Familie von Itzenplitz nach Cunersdorf. Hier kann er seinen botanischen Interessen nachgehen und an einer ersten wissenschaftlichen Publikation arbeiten. Aber auch auf dem Gut ist er als Franzose nicht sicher, sodass von Itzenplitz für seinen Gast intervenieren muss.
Plötzlich steht ein ‚grauer Mann‘
vor ihm und will ihm seinen Schatten
für einen unerschöpflichen
Geldbeutel abkaufen.
Neben seinen botanischen Studien ist Chamissos Aufenthalt in ländlicher Idylle auch eine Inspirationsquelle für seine literarischen Ambitionen. Er verfasst die ersten Kapitel von „Peter Schlemihls wundersame Geschichte“, schickt sie seinem Freund und Verleger Eduard Hitzig, der begeistert ist. Ein Jahr später, 1814, erscheint die bis heute faszinierende Märchennovelle und macht Chamisso europaweit berühmt. Fast als zukünftige Reflexion über sein eigenes Leben kommt in der Geschichte ein armer Teufel, alias Peter Schlemihl, in das Haus eines reichen Edelmanns. Plötzlich steht ein „grauer Mann“ vor ihm und will ihm seinen Schatten für einen unerschöpflichen Geldbeutel abkaufen. Der Handel gilt. Doch das Geschäft erweist sich als Fehlkauf, denn Schlemihl wird ohne seinen Schatten zum Ausgestoßenen, zum Außenseiter der Gesellschaft und er will seinen Schatten zurück. Doch der Kaufpreis hat sich nun erhöht und der „graue Mann“ verlangt seine Seele. Die verweigert ihm Schlemihl empört, entledigt sich des Geldbeutels und reist fortan einsam, ohne Geld und ohne Schatten als Suchender und Forschender um die Welt.
„So sei Schlemihl sein zweiter Name“, mutmaßten schon Zeitgenossen über Chamisso. Seine eigene Zukunft als Naturwissenschaftler und Weltreisender vorauszusehen, legte vor allem seine Teilnahme an der dreijährigen Weltreise mit der russischen Brigg Rurik in die Südsee und Beringstraße zur Erforschung einer nordöstlichen Durchfahrt nahe. Die Reiseerlebnisse, Pflanzensammlungen und Erfahrungen dieser Reise hatten einen wesentlichen Einfluss auf das weitere Leben Adelbert von Chamissos als Botaniker. Mit Berichten von der Weltreise war er auch in Cunersdorf gern gesehener Gast.
Heute ist vom einstigen Schlossensemble kaum noch etwas zu erkennen, denn das Schloss existiert nicht mehr. Vom ehemaligen Schlossgarten, einst von Peter Joseph Lenné gestaltet, ist nur noch der etwa neuntausend Quadratmeter große Küchengarten erhalten geblieben. Seit 2007 aber gibt es den neuen Kunersdorfer Musenhof, wiederum mit kulturell-künstlerischem Leben lädt dieser an Wochenenden und an ausgewählten Tagen zu literarisch-musikalischen Veranstaltungen ein. Im ehemaligen Wirtschaftsgebäude ist das charmante Chamisso Museum untergebracht, getragen von Spenden, einem Förderverein und Café. Das privatgeführte Museum hat sich in bewundernswerter Weise in kleinen Ausstellungsbereichen dem Leben und Werk Adelbert von Chamissos verschrieben, freilich mit der Geschichte des Schlemihls als Publikumsmagnet. „Haben Sie noch Ihren Schatten?“ Bereits am Eingang des Musenhofs werden die Besucher mit dieser Frage konfrontiert. Das Gelände wird begrenzt von der ehemaligen Schlosskirche, die besichtigt werden kann und den Grabkollonaden der Familien von Lestwitz und Itzenplitz, unter anderem mit der Grabstele für Henriette Charlotte von Itzenplitz von Christian Daniel Rauch, dargestellt mit aufgeschlagenem Herbarium. Im Café auf der Parkwiese können die Besucher dann bei Sonnenschein überprüfen, ob sie noch im Besitz ihrer Schatten sind.
Information
Anfahrt: über B1/5, Straußberg, Wriezen nach Kunersdorf
Das Chamisso-Museum ist Freitag bis Sonntag von 11 bis 17 Uhr geöffnet.