Du musst dich verändern

Maria Simon im Interview
Die Schauspielerin Maria Simon

Für ihre allererste Filmrolle erhielt sie eine Auszeichnung. Das war 1999. Damals stand Maria Simon in „Zornige Küsse“ an der Seite von Jochen Vogel. Im vergangenen Jahr wurde sie mit der Goldenen Kamera in der Kategorie „Beste deutsche Schauspielerin“ ausgezeichnet. Filme wie „Silvia S. – Blinde Wut“ oder „Es war einer von uns“ gehen unter die Haut. Maria Simon wurde 1976 in Leipzig geboren, machte in New York ihr Abitur, studierte Schauspiel an der Filmhochschule „Ernst Busch“ in Berlin. Sie hat vier Kinder und zusammen mit ihrem Mann, dem Schauspieler Bernd Michael Lade, eine Band und eine eigene Filmproduktionsfirma. Berliner Leben traf Maria Simon anlässlich Ihrer Rolle als Ermittlerin in Polizeiruf 110.

Im letzten „Polizeiruf 110“ war der Kollege genervt, weil Olga Lenski ihre kleine Tochter mit aufs Revier nimmt. Welche Erfahrungen haben Sie damit, Arbeit und Berufsleben zu vereinbaren?

Es ist unfair, den Kindern und Partnern gegenüber, wenn man auf Arbeit alles gibt und dann zu Hause genervt und hektisch für Ordnung sorgt. Ich trainiere immer wieder, aus diesem Kreislauf auszusteigen. Ich will meine Arbeit professionell machen und mich nicht unnötig über dieses und jenes aufregen. Aber ich finde, dass Frauen zu viel arbeiten müssen.

Haben Sie eigentlich Muttertag gefeiert?

In diesem Jahr, ja. Aber ehrlich gesagt, finde ich, dass man sich jeden Tag freuen und sagen sollte: Danke, dass du da bist. Ein Tag reicht da nicht aus.

Ihre Kinder sind 19, 12, 10 und 5 Jahre alt. Wie unterschiedlich haben Sie die Geburten erlebt?

Alle meine Kinder wurden in der Maria Heimsuchung in Pankow entbunden. Der Unterschied ist vielleicht der, dass die Geburtsphasen immer kleiner wurden. Beim ersten Mal waren übrigens die Wege vereist und ich musste zu Fuß in die Klinik gehen, zum Entsetzen der Schwestern und Ärzte. Aber mein größter Wunsch, meinen Kindern eine Wassergeburt zu ermöglichen, hat bei den drei letzten auch wirklich geklappt.

Warum war das ihr größter Wunsch?

Weil das Kind dann bei der Geburt vom Wasser ins Wasser kommt, also im Prinzip zunächst im selben Element bleibt und immer noch über die Nabelschnur versorgt wird. Wasser ist unglaublich wohltuend, warm und entspannend, also was man als Entspannung verstehen kann, bei dieser „Nahtoderfahrung“, wie ich die Geburt empfinde. Tunnel. Dunkelheit. Es ist doch irre, dass man mit so einem Schock auf die Welt kommt. Das ist für mich, als würde man sich selbst neu gebären.

Fühlen Sie sich durch Ihre Kinder neu geboren?

Auf jeden Fall. Ich finde es großartig, die Geburt als ein so archaisches Urerlebnis erfahren zu dürfen, wo eigentlich alles immer weniger natürlich wird und das Geld das Leben bestimmt. Da sind wir Frauen mit dem ganzen Prozess vom schwanger werden, sich hingeben, abgeben, loslassen gegenüber den Männern wirklich im Vorteil, inklusive der unvorstellbaren Schmerzen, die man erleidet und die dann einfach so wieder weg sind. Und jetzt die Kinder heranwachsen zu sehen mit all den Schwierigkeiten und mit all dem Glück, das fordert mich. Ich habe praktisch fünf Spiegel zu Hause, meinen Mann inklusive, und sehe mich mit meinen Stärken und Schwächen und Grauzonen. Als mein Sohn in der Pubertät war, sagte er einmal zu mir: „Mama, das geht so nicht. Du musst dich mit mir verändern.“ Wahre Worte!

„Schauspielkunst ist zuallererst 
ein absolutes Handwerk inklusive Lebensforschung
 

Wie bereiten Sie sich auf eine Rolle vor?

Die Arbeit beginnt nicht am Set und ist mit dem Lernen eines Textes lange nicht erledigt. Mein Beruf wird heute total unterschätzt. Schauspielkunst ist zuallererst ein absolutes Handwerk inklusive Lebensforschung. Man muss seinen Körper kennenlernen und sich selbst, um in den Hintergrund treten zu können. Damit ich auf den Kern einer Rolle kommen kann, stelle ich mir täglich Fragen zum Menschsein, suche nach Wahrheiten und arbeite an mir.

Einem breitem Publikum sind sie als Kriminalhauptkommissarin Olga Lenski bekannt. Stand bei Ihnen auch schon mal die Polizei vor der Tür?

Ja, im vergangenen Jahr. Unsere Hündin lag im Sterben und wir wollten sie ganz natürlich gehen lassen, also ohne eine Spritze vom Tierarzt. Ein Nachbar hat uns deswegen angezeigt. Für viele Menschen gehört das Sterben immer noch nicht zum Leben und sie haben Schwierigkeiten, es zu akzeptieren. Auf die Welt zu kommen ist ein schwerer Prozess und das Gehen eben auch. Für uns war es ganz natürlich, diesen zu begleiten. Das Veterinäramt sah das ganz genauso.

Welchen Rat, den Ihre Eltern Ihnen gegeben haben, geben Sie Ihren Kindern weiter?

Bei meinen Eltern, vor allem bei meiner Mutter, habe ich Herzlichkeit anderen Menschen gegenüber gelernt, was auch bedeutet, Gefühle offen zu zeigen. Das gebe ich meinen Kindern weiter. Außerdem versuche ich, ihnen möglichst gesunde Kreisläufe beizubringen und die Verschwendung, die weltweit passiert und absolut tödlich ist, zu sehen und zu vermeiden. Wir kochen selbst und versuchen wenig Sortiment im Kühlschrank zu haben und regional einzukaufen. Mir ist wichtig, dass wir respektvoll mit dem umgehen, was da ist, auch miteinander und auch mit der eigenen Kraft, also sich nicht ausbeuten zu lassen und sich selbst nicht auszubeuten. Vertrauen, Geborgenheit und Liebe, das ist das, was ich ihnen mitgebe und das Zeigen von Schwächen auch.

Haben Sie eigentlich einen Fernseher?

Es gibt einen Fernseher für die Playstation. Aber zum Fernsehschauen? Nein. Bei all den Projekten, die ich habe, inklusive die der Kinder und der Familie, bleibt dafür keine Zeit.

Wo entspannen Sie sich, wenn nicht zu Hause?

Wenn nicht zu Hause, dann trinke ich sehr gern einen Kaffee im Café „Liebes Bisschen“ in Pankow oder fahre mit der Familie in die Schorfheide.

Was ist Ihr nächstes Projekt?

Nach Dreharbeiten in Südafrika geht es schon wieder weiter mit dem nächsten Polizeiruf. Und parallel läuft ein Projekt der Filmproduktionsfirma Maruto, bei der mein Mann und ich Mitinhaber sind. Wir wollen politische Themen berühren und Filme machen, die in dieser Zeit wichtig sind. Dazu gehen wir neue Wege, auch bei der Finanzierung. So sammeln wir beispielsweise das Geld für die anstehende Produktion über Crowdfunding.

2066 werden Sie, wenn alles gut geht, 90 Jahre alt. Was würden Sie sich wünschen?

2066! Was für ein cooles Datum! Ich werde hoffentlich gesund in meinem schönen Körper alt geworden sein, umgeben von allen Kindern, Schwiegertöchtern und -söhnen, Enkeln, Urenkeln und meinem Mann. Ja, alle zusammen, das wäre toll. Aber ehrlich gesagt breiten sich bei mir bei all der Politik und den täglichen Ereignissen auf der Welt eher zwei Fragen aus: Wie lange haben wir denn noch? Und verdammte Scheiße, was ist die Lösung – ich denke, die Lösung ist der Augenblick.

Danke für das Gespräch.

Barbara Sommerer

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