Schön und neu – Experiment Design

Modular kombinierbares Polstersofa

Wie wollen wir in Zukunft leben – und wie sieht ein Design aus, das mehr kann als nur „smart“ sein? Dieser Text erkundet neue Ansätze jenseits technischer Effizienz: Es geht um sinnliche Erlebnisse, Schönheit im Alltäglichen und um die Verbindung von Material, Form und Funktion.

Klassisches Möbel- und Produktdesign – vom Stuhl bis zur Lampe, vom Regal bis zum Tisch – ist immer wieder spannend. Zahlreiche Avantgardestücke bewahren über Jahrzehnte hinweg ihre Modernität, ob als Originale oder in sanft überarbeiteten Neuauflagen mit verfeinerten Oberflächen und Farbtönen – eben „relauncht“.

Auch das sogenannte „Hacking“, bei dem durch gezielte Eingriffe die Funktion und Optik bestehender Produkte an individuelle Bedürfnisse angepasst werden, gilt als Teil eines klügeren Wohnens und originellen Interieurs – und erfreut sich als DIY-Methode großer Beliebtheit

„Hacking ist die Kunst des Veränderns“, sagt der Industriedesigner Konstantin Grcic, dessen durchbrochener Stuhl „One“ längst zu den jüngeren Designklassikern zählt. Dabei denkt er nicht nur an das populäre Umgestalten von Ikea-Möbeln nach individuellen Vorstellungen. Ein Sinnbild für dieses kreative Prinzip ist der „Fluffy Monobloc“ von Anton Defant und Benjamin Nagy: ein zottiger Flokati über dem allgegenwärtigen Monoblock, jenem massenhaft produzierten, hässlichgeliebten Plastikstuhl – und daraus wird ein witziger, ironischer Loungechair. Ein echter „Wolf im Schafspelz“.
 

„Fluffy Monobloc“ von Anton Defant und Benjamin Nagy
„Fluffy Monobloc“ von Anton Defant und Benjamin Nagy


Designartefakte sorgen für Überraschung
Design kann überraschen – vor allem dann, wenn sich Objekte zwischen Kunstwerk und Produkt bewegen. Diese experimentellen Stücke fordern visuelle und haptische Erwartungen heraus, spielen mit dem Zeitgeist und provozieren. Wer diesen Zeitgeist aufspüren will, findet ihn in Berlin, der unbestrittenen Kreativhauptstadt.

In Schöneberg, Kreuzberg und Mitte zeigen drei Orte spannendes, hochwertiges Design zwischen Objekt und Artefakt in typisch Berliner Räumen: eleganter Altbau, einstige Industrieräume im Backsteinensemble sowie großzügiger Betonskelettbau der Siebziger. Gemeinsam sind ihnen Betonestrich und weiße Wände.

Allein die Räume und ihre Nachbarschaft faszinieren. Die Objekte um ein weiters wie die „Refraktor Lamp“ von Tom Wünschmann: Eine Hängeleuchte, deren atmosphärische Lichtmuster den Raum durchweben. Ihre Fertigung basiert auf einem komplexen Prozess digitaler und händischer Metallbearbeitung. Auxetische Muster – man stelle sich dehnbare Rhomben vor, die mit digital gesteuerten Lasern in flache Bleche geschlitzt und schließlich zu dreidimensionalen Formen aufgespannt werden – verweisen auf die industrielle Herkunft des Designs. Das Finish: reine Handarbeit, gezeigt etwa zur Berliner Design Week in den Beton-Brut-Räumen der Konzulat Studios in der Leipziger Straße.

 

Skulpturales Möbelstück aus Berlin, der FELS Hocker
Chair One von Konstantin Grcic


Vulkanisches und Keramisches
Materialexpertise, Recycling, digitale Produktionsweisen und Handwerk verschmelzen zur experimentellen Gestaltung – ob Prototyp, Einzelstück oder kleine Edition. So etwa bei Yoav Reches, dessen keramische Vase Ashform auf der Keramik-Biennale in Sardinien 2024 und bei der Konzulat-Pop-up-Show dieses Frühjahr gezeigt wurde. Reches verbindet vulkanisches und keramisches Material, indem er ein zylindrisches Tongefäß in amorphe Lavamasse einfügt. Die Inspiration stammt aus der minoischen Hochkultur. Die Objekte erzählen von Vergangenem und Visionärem zugleich.

In Kreuzberg treffen staksige, flamingohaft gefärbte Hocker auf weiche Sessel und Sofas des Berliner Labels „Out – Objekte unserer Tage“, das inzwischen zehnjähriges Jubiläum feiert. Trotz intensiver Farbtöne wirkt der Raum meditativ. Vielleicht liegt es an den pudrigen Nuancen – vor allem aber an der lässigen Inszenierung: kantige Holzmöbel, zarte Metalle, minimalistisch platziert auf hellem Betonboden.

 


Identität schaffen
Ortswechsel nach Schöneberg: Ob Gummi, Epoxidharze, Chrombeschichtungen, Pappe oder Papier – originelle Designartefakte, deren verbindendes Thema Recycling ist, finden sich in der erst kürzlich eröffneten Studiogalerie „Vaust“. Einer der Köpfe dahinter ist David Kosock. Eine amorphe Raumplastik in Dunkelviolett, die den „Atmosphären der Clubkultur entsprungen scheint“, so beschreibt es Kosock, fungiert hier als Loungesessel. Sein knautschiges Innenleben besteht aus Matratzenresten, die mit gefärbtem Gummi ausgegossen wurden und ein tragfähiges, leicht nachgebendes Sitzgefühl erzeugen. Das Design stammt von den Gebrüdern Balzer Balzer.

Der objekthafte Hocker von Ilya Goldman Gubin wiederum besteht aus Verpackungskarton, veredelt mit feinstem Leder, statisch gestützt durch Aluminiumstäbe. An den Wänden hängen silbrige Reliefs von Joern von Scheipers – „Archive“ aus verdichtetem, überklebtem Plakatmaterial, versiegelt mit Chromspray.

Geschichten zu erzählen und damit den Designstücken über Herstellungsraffinesse, Funktion und Material hinaus eine weitere Dimension zu geben, ist Trend. Im Zentrum stehen Fragen nach Herkunft, Identität – und nach dem Blick aus der Zukunft auf unsere Gegenwart. Exemplarisch ist die Stehleuchte „Skylight“ von Anton Defant. Defant, so erzählt der Galerist, war inspiriert vom Fensterausblick seiner Großmutter und hat ihr schmales Flügelfenster samt Gardine und einfallendem Sonnenlicht in ein theatralisches und romantisches Raumobjekt übersetzt.

Anna Szypale

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