Der Museumsbau gilt als Königsdisziplin der Architektur. Denn bei dem Entwurf eines Museums gibt es große Gestaltungsfreiheit, aber zugleich stellen Museen häufig ein Statussymbol dar. Die Architektur soll die Kunst nicht in den Schatten stellen, aber neben dem Verwahren und Präsentieren von Ausstellungsstücken geht es auch darum, besondere Besuchererlebnisse zu schaffen. In dieser Disziplin ist derzeit der Berliner Architekt Volker Staab erfolgreich, dessen Büro in Kreuzberg in einem Hinterhof am Schlesischen Tor versteckt ist. An diesem Ort entstanden Entwürfe, die (nicht nur) viele Orte in der Hauptstadt prägen: der Neubau des Bauhaus-Archivs am Landwehrkanal etwa oder der im Wettbewerb siegreiche Entwurf für das neue Jüdische Zentrum am Fraenkelufer in Kreuzberg, ebenfalls am Landwehrkanal gelegen.
Fast 90 Jahre lang klaffte eine Brache, wo bis 1938 die Synagoge von Kreuzberg, gebaut 1916, stand. Das Haupthaus hatten die Nationalsozialisten zerstört. Ergänzend zur Synagoge sind eine Kindertagesstätte, ein Café, Ausstellungsräume und Coworking-Spaces vorgesehen. Staabs Entwurf zeigt ein Ensemble aus drei Baukörpern und Höfen. Der höchste Kubus enthält einen Festsaal. Daneben öffnet sich ein Galeriebau mit Café zum Vorplatz. Eine Kindertagesstätte komplettiert den Block in Richtung Kohlfurter Straße. Eine rotbraune Ziegelfassade, die alle Bauten bekleidet, schließt oben mit einer Bogenreihe ab. Ergänzt wird diese Krone durch ein Zitat der Rundfenster des Vorgängerbaus. Der Baubeginn ist für 2027 avisiert. Bis dahin soll der Erweiterungsbau des Bauhaus-Archivs am Landwehrkanal schon eröffnet sein. Staabs Entwurf bietet mehr Ausstellungsflächen, einen neuen Eingang und einen Turm als Wahrzeichen. Die markanten Sheddächer des Museums, das Walter Gropius entworfen hatte, waren erst nach dem Tod des Meisters fertiggestellt worden. Der Turm von Staab markiert einen neuen Vorplatz — sein Tragwerk aus unregelmäßig geneigten, filigranen, weißen Stahlstützen ist schon heute ein Blickfang. In einem Riegel entlang der Vonder-Heydt-Straße liegen der Museums-Shop und das Café. Eine Betontreppe führt hinab ins Foyer, wo der Blick der Besucher in einen Innenhof gelenkt wird. Eine raumhohe Glaswand mit breiten Schiebeelementen umschließt den Innenhof wie ein U auf drei Seiten. Zum Altbau hin wird eine Freitreppe mit breiten Sitzstufen angelegt. Die Ausstellungsräume liegen eine weitere Ebene tiefer. Die Anlage mit Innenhof, Wandelgang erinnert an ein Kloster. Im Turm werden ein Digital-Studio und Räume für die Museumspädagogik sowie ein Veranstaltungsraum untergebracht, die ohne Eintrittskarte öffentlich zugänglich sein sollen.
Beim Seminarzentrum für das Haus der Wannsee-Konferenz musste Staab eine Lösung für die Auseinandersetzung mit einem Ort mit dunkler Geschichte finden: Das neue Seminarhaus, das den Garten der Villa flankiert, soll die „Arbeit für Demokratie und Vielfalt“ stärken. Der Villa Marlier stellte er einen schlichten Riegel aus Leichtbeton gegenüber, der einen Perspektivwechsel bewirkt: Besucher nehmen nicht mehr die Perspektive der Teilnehmer der Konferenz ein, sondern blicken von außen, durch große Glasscheiben auf den schönen und schrecklichen Ort. Die gläserne Fassade ist eine Einladung an die Öffentlichkeit, einen distanzierten Blick durch Glas auf das Haus zu werfen, in dem der Tod von Millionen Menschen beschlossen wurde. Staab gilt als Meister des Betonbaus, geschult an seinem Vorbild und ehemaligen Arbeitgeber Axel Schultes, dem Architekten des Bundeskanzleramtes. Staab hat seinem Seminarhaus kaum Schultes’sche Formfreude gegeben, auf drei Seiten ist es ein schlichter Betonstrang. Nur zur Villa und ihrem großen Vorgarten hin zeigt sich Staabs architektonische Meisterschaft: Der lippenartig gekrümmte geschwungene Dachvorsprung wird im Innenraum zu einem Tonnendach, das an das berühmte von Loius Kahn entworfene Kimbell Art Museum in Fort Worth erinnert. Der Kontrast zwischen grauem, kaltem Beton und warmen Holzoberflächen aus Esche und indirektem Licht prägt das Haus. Die Seminarräume bieten eine konzentrierte Atmosphäre. Die hölzernen Wände und Einbaumöbel geben Besuchern Halt. Das Foyer bietet Sichtbezüge zum Originalschauplatz, an dem ein Staatsverbrechen begangen wurde.
Staab wurde 1957 in Heidelberg geboren, studierte an der ETH Zürich. Im Büro Bangert Jansen Scholz und Schultes arbeitete er am Entwurf für das Kunstmuseum in Bonn mit. Im Jahr 1991 gründete er sein eigenes Büro. Die Gründung geht auf den Wettbewerbserfolg für das Neue Museum für Kunst und Design in Nürnberg zurück. Bald folgten Wettbewerbserfolge für Forschungs- und Lehrgebäude sowie Bürobauten. Staab möchte die „Bedingungen von Architektur zu einer einfachen, überraschend plausiblen Gestalt verdichten“, wie er es nennt. Die Form entwickelt sich aus der Logik des Baukörpers. Die Konzentration auf das Wesentliche steht im Mittelpunkt. Diese Grundhaltung wird bis ins Detail verfolgt. Staabs Arbeit ist geprägt von dem behutsamen, konzeptionellen Einsatz von Form, Material und Farbe. Staab und sein Team tummeln sich nicht nur im Bereich des Museumsbaus. In Berlin gibt es mehrere Gebäude, die ihre jeweiligen Stadträume prägen und weltlicheren Funktionen dienen: Das Gebäude am Otto-Weidt-Platz in der Europa-City etwa richtet sich mit einer Scheibe zum Platz hin aus, während der straßenbegleitende Teil die Trauflinie der Wohnhäuser an
der Heidestraße aufgreift. Das Gebäude wirkt eigenständig, ohne auf die Einbindung in das umgebende Quartier zu verzichten. Die Dreiteilung in Sockel, Mittelzone und Dach bildet die Grundlage für eine graduelle Verfeinerung der Fassade, die man erst auf den zweiten Blick hin wahrnimmt: Mit zunehmender Höhe verringert sich die Breite der Betonfertigteile vom kraftvollen Sockel bis zur fein gegliederten Hochhausfassade.
Eine ähnliche Idee steckt hinter der Fassade des Gebäudes am Schinkelplatz in Mitte. Dort hat Staab ein Geschäftshaus mit fein detaillierter Lochfassade entworfen, die ihre heutige Entstehungszeit erkennen lässt und auf die historische Umgebung reagiert. Die Betonfassade ist von einem Relief geprägt, das an die Bossierung historischer Sockel erinnert und nach oben feiner wird. Die Fenster sitzen in profilierten Betonrahmen mit glatten Faschen, die in die Fassade übergehen. Trotz der Prominenz seiner Bauaufgaben, die nicht nur Berlin mitprägen, hat sich Staab eine fast schüchtern wirkende Jungenhaftigkeit bewahrt, die einnehmend und sympathisch wirkt. Anstatt sich wie die Diva der zeitgenössischen Kulturbau-Architektur zu inszenieren, übt Staab sich im Understatement, in seinem Auftreten ebenso wie in seiner Baukunst, die im Hinterhof in Kreuzberg ersonnen wird.