Oase Flussbadcampus

Die Architektin Monika Gogl aus Lans in Tirol hat das Reethaus auf dem Areal des historischen Flussbads in Lichtenberg entworfen
Neue Architektur in Lichtenberg
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In den 1920er- und 1930er-Jahren tummelten sich tausende Badegäste in Berlins riesiger Flussbadeanstalt. Heute wird der Ort in Rummelsburg mit neuem Leben erfüllt. Den Anfang macht ein elegantes Reethaus, ein Büro- und Hotel-Campus folgen

Ein dickes Stroh-Dach in der Form eines Pyramiden-Stumpfs erwarten Besucher im Berliner Bezirk Lichtenberg bei einem Neubau wohl am wenigsten. Die Reet-Deckung erwartet man eher in Friesland. Aber das Reethaus ist das Zentrum des neuen Flussbad-Campuses‘ auf dem Gelände des ehemaligen Flussbades an der Köpenicker Chausee. Das Haus und die ganze Anlage wird von der Slowness-Gruppe gebaut, die einen „gesunden und nachhaltigeren Lebensstil fördern“ will, klingt es aus der Geschäftsführung.Gründer und Bauherr ist der Unternehmer Claus Sendlinger aus Augsburg, der mit dem Design Hotels-Konzept zu Vermögen gekommen ist. Er hat ein internationales Netz aus chic gestalteten kleineren Hotels zusammengeführt und sich mit Fragen der Gestaltung und des Wohlbefindens eingehend beschäftigt. Sein Verständnis von guter Architektur hat er auch in den Bau des Reethauses an der Spree in Berlin einfließen lassen. Unter dem großen Pyramiden-Dach liegt ein einziger, hoher Raum. In dieser Halle können Besucher auf schwarzen Tatami-Matten liegen und Musik aus einer Raumklang-Anlage lauschen. Als „Listening“ bezeichnen die Veranstalter diese Klang-Erlebnisse, die Gäste zur Meditation einladen. Die Wirkung des 360-Grad-Raumklangsystems geht unter die Haut.

Um das Dach mit Reet zu decken, mussten Handwerker gefunden werden, die diese Kunst noch beherrschen. Das Erdgeschoss des Reethauses liegt tief, fast auf Höhe des Wasserspiegels der Rummelsburger Bucht. Das Gebäude liegt an der breitesten Stelle der Spree, die hier an der Rummelsburger Bucht gar nicht wie ein Fluss wirkt. In der ersten Hälfte des Jahrhunderts wurde hier im warmen Abwasser des benachbarten Kraftwerks gebadet. Der Neubau fügt sich durch sein Reetdach gut in die Schilflandschaft am Ufer ein.

Sonntags ist das Haus für jedermann geöffnet. Elegante schwarz gerahmte Glasfassaden unter den steilen Dachschrägen und ein eckiges Oberlicht im Dach bringen tagsüber natürliches Licht in das Gebäude.

In dieser Halle unter dem Reetdach können Besucher auf schwarzen Tatami-Matten liegen oder sitzen und Musik aus einer Raumklang-Anlage lauschen
Elegante schwarz gerahmte Glasfassaden unter den steilen Dachschrägen und ein eckiges Oberlicht im Dach bringen tagsüber natürliches Licht in das Gebäude

Das Reethaus ist so stilvoll 
und komfortabel, dass 
man einen ganzen Tag 
darin verbringen möchte.

Am Rummlesburger See entsteht ein neuer interessanter Berliner Stadtraum

Die Architektin Monika Gogl aus Lans in Tirol hat das Reethaus entworfen. Die Interieurs hat sie in Zusammenarbeit mit dem belgischen Designer Cédric Etienne aus Antwerpen ersonnen. Er hat die strengen, eckigen Möbel gestaltet, die an Kirchengestühl erinnern. In den Innenräumen hat er viel Kork verwendet, die Böden sind aus edlem Eichenholz. Das Reethaus ist so stilvoll und komfortabel, dass man einen ganzen Tag darin verbringen möchte. Das Bauwerk entführt Besucher in eine Umgebung, die von Ruhe und Einkehr geprägt ist. Das Ziel des Bauherrn und seiner Architektin, einen „Zufluchtsort der Stille“ zu schaffen, haben sie erreicht.

Derzeit wird die Anlage um ein Hotel und Bürohaus erweitert, dass das Flussbad zur Straße hin sichtbarer macht und mit seinem Angebot an Arbeitsplätzen, Gastronomie, Kultur und Kunst hier, an einem sehr unwirtlichen Teil Berlins, eine kleine kulturelle Oase entstehen lässt. Den Neubau hat der Berliner Architekt Arno Brandlhuber entworfen, der für seine kontrovers diskutierten brutalistischen Sichtbetonbauten bekannt ist. In Zukunft werden hier Ausstellungen, ein Restaurant und ein Veranstaltungsraum das Angebot rund um das Reethaus erweitern.

In die öffentliche Badeanstalt kamen zu Hochzeiten bis zu 10 000 Besucher pro Tag. Das städtische Flussbad Lichtenberg  war von 1927 bis 1950 geöffnet und hatte drei Schwimmbecken. Die Beckenränder waren gemauert und von hölzernen Stegen umgeben. Die einzigen Gebäude waren Umkleidekabinen, Technikgebäude und Kioske. Die erhaltene Schwimmbeckeneinfassung steht heute unter Denkmalschutz. Seit dem Bau des Wohnquartiers im Norden in den 1990er- Jahren wurde die Fläche, auf der heute der Flussbad-Campus wächst, als Bushof genutzt. Bis auf zwei Massivbauten wurden die anderen Gebäude abgerissen. In den 1960er-Jahren hatte der Flussschifffahrtszoll auf dem Areal Garagen und Werkstätten und ein Dienstgebäude als Plattenbau errichtet. Nach dem Wegzug der Bundeszollverwaltung im Jahr 2002 geriet die Liegenschaft in Vergessenheit.

Die Interieurs entwarf der belgische Designer Cédric Etienne aus Antwerpen zusammen mit der Architektin des Reethauses

Ein findiger Entwickler erkannte das Potenzial und kaufte das Grundstück im Jahr 2011. Fünf Jahre später wurde das ehemalige Dienstgebäude des Zolls revitalisiert. Der bekannte raue Charme des Plattenbaus wurde dabei bewahrt. Das Dortmunder Architekturbüro Petersen hat einen zweigeschossigen Aufbau als Mansarddach aus hellen Dachziegeln auf den Riegel setzen lassen. Damit waren der bauliche Auftakt und auch geschmacklich eine Vorgabe gemacht: An einem neu gebauten Kreisverkehr wird nun derzeit der Hotel- und Bürobau von Brandlhuber errichtet. In dem Bau soll es Werkstätten für den Bootsbau geben. Er wird deshalb „Werft“ genannt. Relikte des Flussbads werden wiederhergerichtet. In den ehemaligen Restaurationsbau mit schönen Klinker-Details wird ein Restaurant einziehen. Das Flussbad-Gelände ist also auf dem Weg, eine kreative Oase in der Stadt zu werden – gut versteckt an einem ehemals sehr unwirtlichen Ort in Lichtenberg.

Ulf Meyer

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