Es könnte ein Trend daraus werden: Immer mehr Menschen machen sich
einen Sport daraus, möglichst weit durch Berlin zu spazieren – ohne dabei
Parks und Grünflächen zu verlassen
Am Anfang kommen beide Welten zusammen: das Gewimmel aus Straße, Bushaltestelle und Bahnhofsvorplatz am S-Bahnhof Tempelhof, wo eine solche grüne Runde anfangen könnte. Nur wenige Schritte entfernt liegt die spektakuläre urbane Freifläche des Tempelhofes Feldes. Hier geht es jetzt erstmal eine ganze Weile querfeldein: zuerst auf der Umgehungsstraße ums Feld und dann durchs kniehohe Gras. Zugegeben, diese Grünfläche ist nicht für alle schön und lauschig. Aber wer die Weite – oder die reine Idee, dass hier einst Flugzeuge ankamen und wegflogen und jetzt Menschen die Stadtnatur genießen – zu schätzen weiß, der kann sich in diesem so einzigartigen Berliner Park sofort aus dem Alltag ausklinken. Wie ein Bilderbogen entfaltet sich das Geschehen auf dem weiten Feld: Schafe grasen, Vögel brüten, Menschen in allen Farben und Formen bewegen sich über die ehemaligen Start- und Landebahnen, lassen sich vom Segel auf dem Board ziehen, rollern auf Inlineskates oder fahren ganz schlicht Fahrrad. Manche joggen, andere schlendern, hin und wieder ist ein Hund zu sehen, Familien sitzen zusammen, Menschen hängen ihren Gedanken nach oder diskutieren im Gehen.
Parkgrün und Kiezgrün
Am nordöstlichen Ende in Richtung Neukölln erinnert ein altes Schild daran, was hier einst war: „Luftfahrzeugsbetriebfläche. Bitte bleiben Sie auf der Umgehungsstraße“. Hier verlassen wir auf unserer Route das Tempelhofer Feld und gehen für ein paar Minuten auf dem schmalen Pfad, den sich Fahrradfahrer und Fußgänger teilen, in Richtung Norden. Einmal den Columbiadamm überquert, und schon entern wir die nächste Grünfläche: die Hasenheide in Neukölln. Auch hier kann man sich querfeldein treiben lassen – oder auf einer der Hauptadern in Richtung Norden weiterspazieren. Unglaublich, wie grün Berlin ist: Jetzt sind wir schon eine gute Stunde unterwegs und haben die Grünflächen noch nicht wirklich verlassen. Wenn man an dem Eis- und Kaffeepavillon namens „Hasenschänke“ mit ihrem charakteristischen, nierenförmigen Dach von 1952 vorbeikommt, geht man richtig. Hier oder anderswo im Park könnte man jetzt mal eine kleine Pause einlegen.
Weiter geht es danach in der Hasenheide nach Norden in Richtung Hindu-Tempel. Kurz vor der Straße namens Hasenheide scheiden sich die Geister: Puristen biegen links in den kleinen Pfad, um innerhalb des Parks bis zum Südstern im Grünen zu bleiben. Wer ein wenig Kiez nicht scheut, verlässt den Park, überquert die Straße und flaniert durch die Graefestraße und die Böckhstraße weiter in Richtung Norden. Mit ein bisschen Großzügigkeit lässt sich der umgewertete Kern des Graefekietzes jetzt nämlich auch als Grünfläche wahrnehmen: da, wo früher Autos geparkt waren, sind jetzt umzäunte, wild wuchernde Wiesenflächen angelegt, und zusammen mit den alten Straßenbäumen herrscht hier ein sehr grüner, an manchen Stellen fast idyllischer urbaner Dschungel. Wer die Route durch den Graefekiez gewählt und auf der Graefestraße geblieben ist, gelangt an der Kottbusser Brücke zum Landwehrkanal, überquert diesen aber nicht, sondern geht weiter am Maybachufer entlang bis zur Thielenbrücke. Dort übers Wasser und dann der Kurve des Kanals folgend bis zum Görlitzer Park. Diese urbane Grünfläche ist umstritten und nicht an allen Ecken nur erholsam. Wie die meisten Parks in Berlin ist auch der Görli nach Einbruch der Dunkelheit am ehesten Fortgeschrittenen zu empfehlen. Aber bei Sonnenschein ist er lauschig und erstaunlich weitläufig. Einmal in Richtung Nordwesten quer durch – und dann dürfte auch bei geübten Spaziergängern allmählich die Luft raus sein: nach etwa sechs Kilometern auch mal Zeit für eine Pause.
Seegefühl in Kreuzberg
Die Südstern-Puristen verlassen den Hasenheide-Park hingegen in Richtung Lilienthalstraße, gehen dann an der Kirche am Südstern vorbei zur Fontanepromenade. An der Urbanstraße eine Drehung nach rechts und dann am imposanten Wrangelbrunnen vorbei über die dortige Grünanlage in Richtung Norden bis zur Admiralbrücke. Nachdem diese überquert ist, geht es links am Fraenkelufer entlang, am Böcklerpark vorbei und weiter nach Norden über den Erkelenzdamm zum Wassertorplatz und dann bis zum Engelbecken – einer bezaubernden städtischen Oase mit Schildkröten, Enten und einem Hauch Seegefühl. Über den üppigen, tieferliegenden Grünpfad zwischen Engeldamm und Bethaniendamm gelangt man dann bis zur Spree und ist in wenigen Minuten später am Ostbahnhof: nach fast acht Kilometern im Grünen. Es gibt noch viele andere grüne Routen durch die Stadt. Nicht immer müssen sie durch Parks führen. Auch Grünstreifen oder Uferwege schlagen zu Buche, wenn man sich erstmal diesem Sport hingegen hat, der jeden Sommer in der Stadt versüßt: So lange wie möglich im Grünen und trotzdem mitten in der Stadt zu Fuß zu flanieren – und dabei seine ganz eigene Lieblingsroute zu entdecken.