In Reinickendorf hat ein Künstlerpaar ein neues Theater für Kabarett und Chanson eröffnet – auf eigene Faust und mit einem großen Freundeskreis. Schon die ersten Wochen zeigen: Es wird ein Erfolg!
Kurz bevor es losgeht, ist alles noch ein bisschen steif. Die Gäste trudeln ein, ungefähr die Hälfte der Stuhlreihen mit altmodischen Plüschpolstern füllen sich nach und nach. Auf der Bühne sind die Musiker mit dem Soundcheck noch nicht ganz fertig und der Theaterbetreiber eilt von Ecke zu Ecke, in der Hand ein Tablet, um die Mikrofone für den etwas verwinkelten Raum richtig auszusteuern. Der Biertresen dient auch als Theaterkasse, dahinter steht die Betreiberin, schenkt gleichzeitig Getränke aus, füllt Salzstangen nach und kassiert den Eintritt. Alle Beteiligten wissen, was sie tun, aber es ist noch keine Routine eingekehrt. Der gedämpft beleuchtete Raum riecht nach frischer Farbe und Putzmittel. Die Wände sind mit altmodischen Holzpanelen vertäfelt, darin eingelassen historische Bilder von Berlin. Die schnöden Rasterplatten an der Decke sind mit hellblauen Wirbeln besprüht, ein Hauch von Nachthimmel. Als sich abzeichnet, dass das Publikum des heutigen Abends komplett ist und auch der Sound stimmt, geht sich die Band kurz schick machen. Der Betreiber begrüßt schon mal mit trockenem Witz das Publikum und stellt dieses neue Theater vor, dass er und seine Frau gerade eigenhändig umgebaut haben. Es heißt „Showfenster-Theater“ und die beiden sind Größen der Berliner Kleinkunstszene: Der Kabarettist Gerd Normann und die Chanson-Komikerin Jana Haase alias Lina Lärche, auf der Bühne auch ein Künstlerduo, neben der Bühne ein Künstlerpaar.
Ärmel hoch und machen
Als die Geschichte ihres eigenen Theaters begann, war die Stimmung in der Kulturszene noch mieser als jetzt: 2020 herrschte die Pandemie, an Auftritte war nicht zu denken. Muss nicht sein, fand Gerd Normann, gebürtiger Sauerländer und auch nach vielen Jahrzehnten in Berlin noch mit dem erdigen Dialekt dieser Region ausgestattet. Von Beruf Augenoptiker, handelte Normann mit seiner Arbeitgeberin aus, dass verschiedene Acts in deren Schaufenster in Moabit stattfinden können – der Ton wurde mit einem Lautsprecher nach draußen übertragen und das Publikum konnte, alle Auflagen einhaltend, zugucken und Geld spenden. Sobald zehn Euro zusammengekommen waren, gab es im Fenster fünf Minuten Live-Show. Das funktionierte.
Normann und Lärche konnten auf die Unterstützung vieler bekannter Namen aus der Berliner Kabarett-, Chanson- und Kleinkunstszene zählen, darunter Arnulf Rating, Mai Horlemann und Otto Kuhnle.
Die Sache lief so gut, dass sie im Sommer 2021 einen Schritt weiter gingen und ein kleines Theater – technisch die entfernte Variante eines Kasperletheaters für Erwachsene – entwarfen und in Stadtparks und auf öffentlichen Plätzen aufbauten. Schon damals war klar: Nach der Pandemie soll es eine eigene, richtige Spielstätte sein, am liebsten eine alte Kneipe, die sich zum Theater umbauen lässt. Als Überbrückung spielte man ab 2022 im Schultheiss-Quartier ― einer Shoppingmall im Berliner Norden. Parallel dazu richtete Normann einen Suchfilter in einem Immobilienportal ein. Nur zwei Voraussetzungen musste das Wunschobjekt erfüllen: „groß und billig“, wie er sagt.
Nach eineinhalb Jahren Suche dann der Treffer. Eine ehemalige Eckkneipe in einer verschlafenen, aber verkehrsgünstig gelegenen Ecke von Reinickendorf. Dann nahmen Gerd Normann und Lina Lärche Hammer, Bohrer und Besen in die Hand und verwirklichten ihre Vision: ein Lokal, wo täglich Programm geboten wird, von Comedy über Zauberei bis Tango, von Kabarett über Swingtanz bis Chanson und Lesungen – und wo man tagsüber Kaffee und abends Bier trinken kann.
Ende Januar 2025 wurde eröffnet. Entstanden ist ein Schatzkästchen, das die Traditionen von Eckkneipe und Brettlbühne zitiert, sie aber in die Gegenwart übersetzt: Die Luft ist rein, alles ist blitzsauber, das Programm vereint die Crème de la Crème der Szene mit Neuentdeckungen. Es sind Profis am Werk.
Geld aus vielen Quellen
Finanziert wird das Theater aus vielen, eher kleinen Quellen. Ein Crowdfunding unter Freunden stellte ein paar Tausend Euro für den Umbau bereit, Neustart Kultur unterstützte das mobile Showfenster und das Publikum kann nun außer mit Eintrittsgeldern und Getränkekauf auch mit einem oder zwei Hundertern im Jahr eine Art Mitgliedschaft erwerben, ermäßigte Eintrittskarten bekommen und damit zur finanziellen Sicherheit des neuen Spielortes beitragen. Wichtiger Budgetpunkt ist natürlich auch, wie oft im Kulturbetrieb, die Selbstausbeutung der Betreiber und ihrer Künstler ― man zählt nicht die Arbeitsstunden, sondern die Momente, in denen das Publikum vor Begeisterung tobt.
Dieser Moment setzte an diesem verregneten Februarabend in den ersten Wochen des Showfenstertheaters ungefähr nach einer halben Stunde ein. Die Musiker der „Drückerkolonne“ heizten mit seelenvoller Chansonpunkpolka ein und das Publikum auf den Samtstühlen wippte wild. „Schmeißt die Stühle an die Wand und tanzt zusammen“, rief der Sänger, und genau das taten die Zuschauer, von den Betreibern tatkräftig unterstützt. Strahlend verließen sie gegen Mitternacht das Theater. Eine Besucherin drehte sich in der Tür nochmal um und brachte es auf den Punkt: „Wir kamen zu zweit und gehen zu viert. Besser kann ein Abend doch nicht sein!“ Der Traum vom eigenen Theater in widrigen Zeiten ist wahr geworden, der Laden läuft. Nennen wir das schon mal: eine Erfolgsgeschichte - zu einer Zeit, wo in der Berliner Kulturszene wegen öffentlicher Sparmaßnahmen gerade überall Kahlschlag droht.
Information:
Showfenster-Theater, Letteallee 94, Berlin-Reinickendorf.
Programm und Ticketvorverkauf unter www.showfenster-show.de