Im Rausch von Formen und Farben

Wassily Kandinsky, Weißes Kreuz, 1922 Öl auf Leinwand 100,5 × 110,6 cm
Museum Barberini

Mit der grandiosen Ausstellung „Kosmos Kandinsky. Geometrische Abstraktion im 20. Jahrhundert“ zeigt das Museum Barberini in acht Kapiteln Gemälde, Skulpturen und Installationen von 70 Künstlerinnen und Künstlern, allen voran Wassily Kandinsky, die länderübergreifend die geometrisch-abstrakte Bildsprache prägten.

Mit der grandiosen Ausstellung „Kosmos Kandinsky. Geometrische Abstraktion im 20. Jahrhundert“ zeigt das Museum Barberini in acht Kapiteln Gemälde, Skulpturen und Installationen von 70 Künstlerinnen und Künstlern, allen voran Wassily Kandinsky, die länderübergreifend die geometrisch-abstrakte Bildsprache prägten.

Leitfigur der Ausstellung ist der wohl berühmteste Vertreter der geometrisch-abstrakten Kunst Wassily Kandinsky. Er gilt als erster Maler, der diesen Weg am konsequentesten gegangen ist. Das sah zunächst nach seinem Kunststudium nicht so aus. Dreißigjährig, als studierter Jurist, übersiedelt er aus Moskau 1896 nach München. Dort lernt er die Malerin Gabriele Münter kennen, die in seiner Münchner Zeit engste Vertraute, aber auch seine Kritikerin ist. Die Arbeiten, die zwischen 1900 und 1908 entstehen, lassen noch nichts von seinen späteren Aufbrüchen erkennen. Erst mit Gründung der Künstlergemeinschaft „Blauer Reiter“, zusammen mit Franz Marc, ändert sich das mit Abkehr von der reinen Wiedergabe der Wirklichkeit. „Den Namen … erfanden wir am Kaffeetisch in der Gartenlaube in Sindelsdorf; beide liebten wir Blau, Marc die Pferde und ich die Reiter. So ergab sich der Name von selbst.“ In seinem 1911 veröffentlichen Buch „Über das Geistige in der Kunst“ versucht er dann auch den Beweis zu erbringen, dass Farben und Flächen universelle Eigenschaften besitzen, Blau eben für die himmlische Farbe steht, die in spirituelle Sphären weist, der Reiter als Motiv für den Suchenden und Kämpfer. So symbolisiert der „Blaue Reiter“ im Grunde den Kampf des Geistes für die künstlerische Avantgarde, gegen die Tradition. Sein theoretisches Werk beinhaltet nicht nur sein künstlerisches Glaubensbekenntnis, es war für viele Künstler richtungsweisend und beeinflusste die Kunstwelt bis in die 1970er Jahre hinein.

In Moskau, wohin er nach Ausbruch der Ersten Weltkrieges zurückkehren muss, findet Kandinsky allerdings nur wenige Künstler, die sich mit der psychologischen Wirkung von Kunst beschäftigen wollen. Er lehrt als Professor unter anderen an der staatlichen Kunsthochschule in Moskau, „WChUTEMAS“. Doch die Künstlergruppen dort stehen den revolutionären Umbrüchen näher. So folgt er schließlich 1922 einem Ruf an das Bauhaus nach Weimar. Hier findet er Gleichgesinnte und kann seine Bildsprache als Lehrer vermitteln und weiterentwickeln. Die theoretische Grundlage dazu veröffentlicht er 1926 in seinem Buch „Punkt und Linie zu Fläche“. Es enthält Studien zu den geometrischen Elementen der Kunst, wie zum Beispiel Punkt und Farbe, und deren Auswirkungen auf das Sehvermögen. Das Buch inspirierte und beeinflusste die gesamte abstrakte Kunstszene über viele Jahrzehnte hinweg.

Man könnte angesichts der grandiosen und herausragend kuratierten Ausstellung im Museum Barberini zu dem Schluss kommen, die Werke aller wichtigsten Künstler der geometrisch-abstrakten Malerei im 20. Jahrhundert versammelt zu sehen. So umfangreich und so länderübergreifend zeigt sie insgesamt 125 Werke von 70 Künstlerinnen und Künstlern. Insofern steht Kandinsky in dieser ersten großen Überblicksausstellung zur geometrischen Abstraktion mit seinen Werken zwar im Mittelpunkt, doch inmitten von Werken künstlerischer Mitstreiter in ganz Europa und darüber hinaus.

Kosmos Kandinsky

Nach Schließung des Bauhauses muss er Deutschland verlassen, zieht nach Frankreich und schließt sich der von Piet Mondrian und anderen gegründeten Künstlergruppe Abstraction-Création an. Mondrian hatte sich früh an Kandinsky orientiert und war die zentrale Figur der geometrischen Abstraktion in den Niederlanden. Bereits 1931 hatte sich zwar seine Künstlergruppe De Stijl aufgelöst, doch ihr Einfluss in ganz Europa war nicht mehr zu übersehen. Kandinsky lebt ab 1934 in Neuilly-sur Seine bei Paris. Sein letztes großes Gemälde entsteht dort 1942, zwei Jahre vor seinem Tod. Schließlich trug die Flucht vieler Künstler aus Deutschland in den 1930er-Jahren dazu bei, dass sich internationale Netzwerke bildeten, die die Ideen der geometrisch-abstrakten Kunst weitertrugen. So bildeten sich nach dem Zweiten Weltkrieg in London und auch in New York Künstlergruppen heraus, die die Anfänge der Geometrischen Abstraktion aufgriffen und in den folgenden Jahrzehnten neue Stil-Richtungen kreierten. Die Künstler der Optical Art der 1960er-Jahre beispielsweise, wie Richard Anuszkiewicz und Julian Stanczak, experimentierten mit Bildelementen, die sich beim Anschauen zu bewegen scheinen. Das entsprach dem Zeitgeist und der Dynamik neuer Technik jener Jahre. Die beiden amerikanischen Künstler sind allein mit 9 Werken in der Ausstellung vertreten. Ihre fast magisch wirkenden Quadrate haben ihre Vorbilder am Bauhaus, wo bereits Kandinsky und Albers die dynamische Wirkung von bestimmten Farbkombinationen untersucht hatten. Beim Gang durch die Ausstellungsräume ist man vor allem gefangen von Übermaß und Wirkung der quadratischen Formen und Farben. Mit seiner Serie „Huldigung an das Quadrat“ hatte der ehemalige Bauhaus-Lehrer Josef Albers die Künstler der Optical Art inspiriert, die Grenzen der Wahrnehmung noch stärker auszureizen.

Miriam Schapiro Puzzle, 1969 Acryl auf Leinwand 203,2 × 183,2 cm
Victor Vasarely Vegaviv II, 1955 Vinylfarbe auf Holzplatte 113,7 × 76,2 cm Fondation Gandur pour l’Art, Genève

Bleibt die Frage nach der inhaltlichen Deutung geometrisch-abstrakter Kunst überhaupt. „Die Ausstellung ‚Kosmos Kandinsky‘ zeigt deutlich, wie unerschrocken und radikal modern die Geometrische Abstraktion zu jedem Zeitpunkt war, und steht dem mitunter formulierten Vorwurf, dass sie kühl oder ‚inhaltsleer‘ sei, ganz klar entgegen…, so Ortrud Westheider, Direktorin des Museums Barberini. Abgesehen von den erhellenden Begleittexten, überzeugt allein das künstlerische Vermächtnis des Protagonisten und Titelgebers der Ausstellung: „Ich bitte, nicht zu glauben, dass meine Malerei ‚Geheimnisse‘ vor Ihnen zu enthüllen sucht, … Hier braucht nichts entziffert zu werden: Der Inhalt redet freuderfüllt zu dem, für den jede Form lebendig, also inhaltsvoll ist.“

Reinhard Wahren

Information:

Kosmos Kandinsky. Geometrische Abstraktion im 20. Jahrhundert
Bis 18. Mai 2025
Museum Barberini
Alter Markt, Humboldtstraße 5-6, 14467 Potsdam

Parallel zur Ausstellung im 
Barberini zeigen die Staatlichen Museen zu Berlin die Ausstellung
„Kosmos Blauer Reiter. Von Kandinsky bis Campendonk“ 
Bis 15. Juni 2025
Kulturforum Berlin, Kupferstichkabinett
Johanna und Eduard Arnhold Platz, 10785 Berlin

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