Das Museum der Dinge ist umgezogen: von der kuscheligen Oranienstraße in Kreuzberg an die kühle Leipziger Straße in Mitte – das ist genau der richtige Ort für diese spannende Sammlung und einen Besuch zum Neuanfang
Im ersten Moment kann man sich fragen, warum ausgerechnet ein Spül-schwamm oder eine bedruckte Dönertüte so viel prominenten Platz in einer der deckenhohen Vitrinenreihen des neu wiedereröffneten Museums der Dinge bekommen sollen. Denn diese und vergleichbare Haushaltsgegenstände werden in den ersten Metern ausgestellt wie wertvolle Artefakte – als Beispiel für „anonymes Design“. Doch beim genauere Hinsehen ist das genau der richtige Ort.
Das Museum der Dinge beschäftigt sich nämlich mit der Frage: Welche Bedeutung haben die industriell gefertigten Gegenstände, die wir täglich benutzen? Wer gestaltet sie und vor allem: nach welchen Kriterien und Maßstäben? Wie definiert sich ihre Qualität? Antworten suchte in Deutschland seit 1907 der „Werkbund“. So nannte sich ein Zusammenschluss aus Kunstschaffenden, Architekten und Unternehmen, die sich die „Veredelung der gewerblichen Arbeit“ zum Ziel setzten und Maßstäbe für die Gestaltung definierten. Er existiert bis heute, hat aber seine Bedeutung weitgehend verloren. Sein Archiv bildet die Grundlage der Dauerausstellung und bebildert die Auseinandersetzung mit industriell produzierten Alltagsartikeln.
Design ist politisch
Gab der alte Standort an der Kreuzberger Oranienstraße, wo das Museum der Dinge in einem typischen Hofgebäude der letzten Jahrhundertwende untergebracht war, der Sammlung noch einen leicht verwunschenen und irgendwie schatzkästchenartigen Rahmen, ist der neue Standort in einem nüchtern brutalistischen Bau an der sagenhaft breiten und auf den ersten Blick maximal menschenfeindlichen Leipziger Straße buchstäblich eine andere Hausnummer. Und das passt. Denn bei der Auseinandersetzung mit den Dingen des täglichen Konsums geht es im Kern natürlich nicht nur um ein paar Spülschwämme oder um die optimale Ästhetik einer Teekanne – sondern um handfest politische Fragen: Inwiefern können industriell produzierte Gegenstände möglichst vielen Menschen dienen und welche Bedürfnisse an Gestaltung und Produktion entstehen dabei?
Wer in den frühen Jahren der industriellen Produktion in einer engen Mietwohnung mit wenig Stauraum lebte, profitierte von einem Geschirrservice, das nicht nur erschwinglich und robust war, sondern auch so designt wurde, dass sich möglichst viele Teile platzsparend ins Regal stapeln ließen. Ein Anliegen, das großbürgerliche Haushalte mit viel Raum und Personal, das kostbare Einzelstücke versorgen konnte, nicht teilten. Heute haben sich viele dieser Bedingungen verändert – aber die Grundfrage ist geblieben: Was ist gutes Design und wer entscheidet das?
Das Museum der Dinge nutzt den Standortwechsel auch, um dabei modernere Aspekte zu reflektieren. Gibt es rassistische oder anderweitig diskriminierende Gegenstände – etwa Dinge, die nur für Rechtshänder geeignet sind? Inwiefern fließt in die Beurteilung ein, ob ein Ding nachhaltig produziert wurde?
Design ist politisch, das wird am neuen Standort in der gut strukturierten, nüchternen Ausstellung an jedem Spülschwamm und jeder Blechdose deutlich. Vertieft wird die Erkenntnis durch eine temporäre Ausstellung, die direkten Bezug auf die neue Adresse nimmt: Bewohnerinnen und Bewohner der Leipziger Straße haben dafür Gegenstände mit persönlicher Bedeutung eingereicht. Das kann ein teurer, gegen die deutsche Kälte im Kaufhaus erstandener Pullover einer vietnamesischen Restaurantbetreiberin sein, der zerschrammte „Glücksstuhl“, den ein Späti-Betreiber vor seinem Laden stehen hat, oder eine abgeschlagene, avantgardistische Formfliese aus der Zeit, als die Hochhäuser in der Leipziger Straße Symbole für neues, innovatives Bauen in der Hauptstadt der DDR waren.
Die gegenwärtige Sonderausstellung „Profitopolis – oder der Zustand der Stadt“ ergänzt die Auseinandersetzung aus konkretem Anlass: Der Grund, warum das Museum der Dinge überhaupt umziehen musste, ist nämlich, dass die Eigentümer, ein Immobilienfonds aus Luxemburg, dem Museum den alten Standort Ende 2023 gekündigt hatten.
Trotzdem kommt auch die Heiterkeit im Museum der Dinge nicht zu kurz. Ein Highlight ist die Abteilung mit den „bösen Dingen“, in der Geschmacklosigkeit aller Art angeprangert wird. Von der unbenutzbaren Designersaftpresse über absurden Souvenir- und „Hurrakitsch“ bis zu Dingen, die geplant kaputt gehen oder eine höhere Qualität vortäuschen, als sie tatsächlich haben, sind viele skurrile Objekte zu sehen – nicht wenige davon würden Menschen mit einer Ader für gepflegten Kitsch wohl sofort mit nach Hause nehmen. Das Museum der Dinge konnte schon immer unseren selbstverständlichen Blick auf die Dinge des Alltags gründlich aufmischen. An dem neuen Ort verstärkt sich diese Wirkung und man sollte unbedingt die Gelegenheit nutzen, sich die Spülschwämme, die Teeservices und all die anderen Dinge sowie die Sonderausstellungen mal wieder mit frischem Blick anzusehen.
Information
Werkbundarchiv – Museum der Dinge
Leipziger Straße 54
10117 Berlin
Geöffnet:
Donnerstag bis Montag, 12 – 19 Uhr.
Dienstag und Mittwoch geschlossen
Sonderausstellung „Profitopolis oder der Zustand der Stadt“ noch bis zum 28. Februar 2025