35 Jahre nach Ende der deutschen Teilung thematisiert eine raumgreifende Filmausstellung mit teils kaum bekanntem Material im Museum Nikolaikirche die grundlegenden Umbrüche und den Alltag in Berlin um 1990.
Die Ausstellung „Heute noch, morgen schon. Filmische Perspektiven auf Berlin um 1990“ zeigt dokumentarische und künstlerische Kurzfilme sowie Film- und Fernsehausschnitte aus vier Jahrzehnten bis ins Jahr 2024. Sie bieten persönliche Einblicke in die tiefgreifenden gesellschaftlichen und räumlichen Veränderungen rund um die Wendezeit.
Ergänzt wird die Schau durch aktuelle künstlerische Arbeiten, die sich aus heutiger Perspektive mit den Umbrüchen jener Jahre auseinandersetzen.
Im Zentrum steht die Frage nach Kontinuitäten und Brüchen in einer Stadt, die wie kaum eine andere die politische Geschichte Europas im 20. Jahrhundert widerspiegelt.
Die Nikolaikirche und die Deutsche Einheit
Die Nikolaikirche in Berlin ist mehr als ein historisches Bauwerk – sie ist ein Ort politischer Wegmarken. Am 11. Januar 1991 wurde hier Geschichte geschrieben: Die konstituierende Sitzung des ersten gesamtberliner Abgeordnetenhauses seit 1948 fand in dem ältesten erhaltenen Kirchengebäude der Stadt statt. Ein symbolischer Akt an einem Ort, der bereits 1809 Schauplatz der ersten Stadtverordnetenversammlung war.
Doch die Sitzung offenbarte auch die Spannungen der Wiedervereinigung. Die deutsche Einheit war keine Verschmelzung auf Augenhöhe – das zeigte sich deutlich in der Debatte um die künftige Berliner Verfassung. Die Mehrheit der Abgeordneten entschied sich dafür, die West-Berliner Verfassung von 1950 auf den Ostteil der Stadt auszudehnen. Zwar wurde der Text um einen Zusatz ergänzt, der vorsah, dass die Abgeordneten eine neue Verfassung erarbeiten und diese erstmals per Volksentscheid bestätigen lassen sollten. Doch alternative Entwürfe – etwa vom Zentralen Runden Tisch der DDR oder die vorläufige Ost-Berliner Verfassung von 1990 mit stärkerer Bürgerbeteiligung – fanden kaum Beachtung.
Trotzdem markiert die Berliner Verfassung von 1995 einen Fortschritt: Sie öffnete den Weg zu mehr Teilhabe und direkter Demokratie – ein spätes Echo auf die Forderungen jener Zeit.
Die Ausstellung „Heute noch, morgen schon“ richtet den Blick auf die Wendezeit als Phase großer Hoffnungen und tiefer Enttäuschungen. Im Mittelpunkt stehen persönliche Erfahrungen, insbesondere aus Ost-Berlin, die zwischen Aufbruch und Verunsicherung schwankten: Freiheit und neue Chancen trafen auf soziale Umbrüche, Arbeitsplatzverlust und Ausgrenzung. Auch die Folgen von Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit nach dem Mauerfall werden thematisiert – besonders für Menschen mit Migrationsgeschichte in Ost und West. Die Schau erinnert bewusst an wenig beachtete Ereignisse wie die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion sowie den Wegfall der innerdeutschen Grenzkontrollen am 1. Juli 1990.
Künstlerisches Konzept
Die Ausstellung inszeniert ihr rund sechs Stunden umfassendes Filmmaterial in einer imposanten Gerüstlandschaft mit neun großformatigen Bildschirmen. Besucher bewegen sich darin wie durch ein begehbares Archiv und tauchen ein in filmische Momentaufnahmen echten Lebens. Die filmischen Zugänge reichen von dokumentarischer Beobachtung über persönliche Gespräche bis hin zu künstlerischen Reflexionen über Geschichte und Gegenwart – eine visuelle Reise durch ein Berlin im Wandel.
Nikolaikirche
Nikolaikirchplatz, 10178 Berlin
Bis 6. April 2026
Öffnungszeiten:
Montag bis Sonntag: 10 bis 18 Uhr
Eintritt:
7 Euro (Einzel-Ticket), 15 Euro (Kombi-Ticket*) Eintritt frei (unter 18 Jahren oder mit Ermäßigung)
*Gilt für die Museen Nikolaikirche, Ephraim-Palais und Knoblauchhaus im Nikolaiviertel) an zwei
aufeinanderfolgenden Tagen.