Vergessene Visionärinnen

Lithografie, Lübeck 1916 Käte Wolff, print “Eh' mein Kindchen erwacht, da kommen ganz sacht der Männlein acht”
Pionierinnen jüdischen Designs im 20. Jahrhundert
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Die Ausstellung zeigt Biografien und Werke heute vergessener jüdischer Designerinnen des 20. Jahrhunderts. Das JMB hebt ihre künstlerischen und unternehmerischen Leistungen sowie ihre Positionen innerhalb der Emanzipations- und Modernisierungsprozesse der deutschen Gesellschaft im frühen 20. Jahrhundert hervor – als Frauen, Jüdinnen und Künstlerinnen.

Mit rund 400 Exponaten von mehr als 60 Gestalterinnen bringt die weltweit erste umfassende Ausstellung zu diesem Thema Pionierinnen zusammen, die sich trotz gesellschaftlicher Marginalisierung herausragende Positionen in ihren jeweiligen Bereichen erkämpften, bis das nationalsozialistische Regime ihre Karrieren und Leben zerstörte. Einigen gelang die Flucht und ein Neubeginn im Ausland.

Aber fast alle wurden aus der deutschen Kunst- und Kulturgeschichte verdrängt, stellt die Kuratorin Michal Friedlander fest. Nach langjähriger Forschungsarbeit setzt das JMB mit dieser Schau die Künstlerinnen wieder an den Platz, der ihnen zusteht. Anni Albers, Friedl Dicker, Maria Luiko, Emmy Roth, Irene Saltern und Tom Seidmann-Freud zählen zu den bekannteren Namen. Zu sehen ist ein breites Spektrum an Design und handwerklichen Techniken: von Goldschmiede- und Textilkunst über Keramik und Holzschnitzerei bis zu Modedesign und Grafik.

Die meisten der Künstlerinnen, die die Ausstellung vorstellt, sind heute nicht mehr bekannt, sagt Hetty Berg, die Direktorin des JMB. Indem die Schau nicht nur die ästhetische Qualität der Exponate betont, sondern auch die Geschichte der individuellen Produktionsbedingungen und ihr oft abruptes Ende erzählt, hebt sie den spezifischen Anteil deutsch-jüdischer Frauen an der Geschichte der angewandten Künste hervor.

Paula Straus, Halskette, Gold, Deutschland 1921–1939
Aus der Ausstellung Widerstände. Jüdische Designerinnen der Moderne

Pionierinnen ihrer Zeit – von der Jahrhundertwende bis heute in zehn Kapiteln

Um 1900 waren Frauen in Deutschland stark benachteiligt: eingeschränkte Rechte und kaum berufliche Perspektiven. Das Einführungskapitel zeigt diese strukturellen Hürden und porträtiert Vorreiterinnen, die gesellschaftliche wie innerjüdische Normen infrage stellten.
Im Kapitel Ausbildung und Gestaltung wird deutlich, wie jüdische Frauen trotz Ausschluss von Kunstakademien überproportional in künstlerischen Bildungsstätten vertreten waren. Die Warenwelten zeigen ihre Rolle als Designerinnen und Unternehmerinnen in der modernen Konsumkultur der Weimarer Republik – von Alltagsprodukten bis zu Ritualgegenständen.
In der wachsenden Werbebranche prägten jüdische Frauen als Modedesignerinnen und Illustratorinnen die visuelle Kultur und das Bild der „Neuen Frau“. Die Ausstellung thematisiert auch ihre begrenzten ökonomischen Möglichkeiten und die Abhängigkeit von familiärer Unterstützung.
Das Kapitel Das jüdische Kinderzimmer beleuchtet die Rolle jüdischer Frauen in der Reformpädagogik: Sie entwickelten Lehrmaterialien und Kinderbücher zur Stärkung jüdischer Identität. Ab 1933 folgten Verfolgung, Deportation und Mord. Das Kapitel Ins Dunkle dokumentiert Ausgrenzung und Widerstand.
Nach 1945 mussten viele Frauen unter schwierigen Bedingungen neu beginnen – oft traumatisiert, ohne Netzwerke und gezwungen, sich stilistisch neu zu orientieren. Der Anpassungsdruck war hoch, ihre Werke gerieten in Vergessenheit. Die Ausstellung setzt ihnen ein spätes Denkmal. 

11. Juli bis 23. November 2025 
Jüdisches Museum Berlin,
Lindenstraße 9-14, 10969 Berlin 
Eintritt: 10 € / erm. 4 €

Im Hirmer Verlag erscheint ein Katalog in deutscher Ausgabe 
(304 Seiten, 250 Abbildungen in Farbe, 39,90 Euro)

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