Zwischen Algorithmus und Ökologie

Palmen bei Mache Chindul, 2024
Das C/O Berlin "After Nature"

Die Galerie C/O Berlin zeigt die beeindruckende Doppelausstellung der beiden Gewinnerinnen des After Nature. Ulrike Crespo Photography Prize 25: Lisa Barnard mit You Only Look Once und Isadora Romero mit Notes on How to Build a Forest.
Lisa Barnard untersucht in ihrer Arbeit die Schnittstellen von Technologie, Überwachung und visueller Kultur. Ihr Projekt You Only Look Once beleuchtet die Rolle von Künstlicher Intelligenz in der Bilderkennung und deren gesellschaftliche Auswirkungen – ein kritischer Blick auf die Macht der Algorithmen.
Isadora Romero hingegen widmet sich mit Notes on How to Build a Forest ökologischen und indigenen Perspektiven. Ihre fotografische Erzählung verbindet Wissenschaft, Mythologie und Aktivismus und fragt, wie wir in Zeiten des Klimawandels neue Formen des Zusammenlebens mit der Natur entwickeln können.

Die Ausstellung bietet zwei sehr unterschiedliche, aber komplementäre Positionen zur Frage, wie Fotografie unsere Beziehung zur Welt reflektieren und verändern kann. Ein Besuch lohnt sich – visuell stark, inhaltlich relevant.

Lisa Barnard . You Only Look Once
In ihrem ersten großen Projekt seit vier Jahren beschäftigt sich die britische Künstlerin Lisa Barnard mit Wahrnehmung im Spannungsfeld zwischen menschlicher und maschineller Erfahrung. Sie thematisiert die Komplexität technologischen Fortschritts sowie die ökologischen Ressourcen, auf denen dessen Versprechen beruhen. Barnards Recherche ist in Kalifornien angesiedelt und entfaltet eine vielschichtige, fragmentierte und nichtlineare Erzählung. Sie umfasst Fotografien, eine immersive Videoinstallation, bearbeitetes Archivmaterial, alternative Drucktechniken und KI-generierte Bildanalysen, die sich zu einem visuell dichten Gewebe zusammenfügen. Ausgangspunkt des Projekts ist der Saltonsee im Süden Kaliforniens. Dieser war im Zweiten Weltkrieg Schauplatz militärischer Präzisionstests und ist heute zu einem Ort wirtschaftlicher Begehrlichkeiten und technologischer Heilsversprechen geworden – insbesondere durch den geplanten Abbau von Lithium. Barnards Arbeit zeigt die deutlichen Zeichen ökologischer Erschöpfung in dieser einst florierenden Gegend und thematisiert zugleich den militärischen Blick, der eng mit dem Ort und seiner komplexen Geschichte verbunden ist. Barnard untersucht weiter, wie Technologien, die auf visuelle und akustische Signale angewiesen sind, die Interaktion zwischen Mensch und Maschine beeinflussen. Anhand der Echoortung von Fledermäusen richtet sie den Fokus auf Techniken der Objekterkennung, wie sie heute beispielsweise in autonomen Fahrzeugen allgegenwärtig sind. Ähnlich wie Menschen verlassen sich diese Systeme auf eine Vielzahl von Sensoren und Bildinformationen, um die Welt zu erfassen und sich in ihr zu orientieren. Obwohl KI-gestützte Lernprogramme wie „You Only Look Once“ eine Objekterkennung in Echtzeit ermöglichen, werden Maschinen niemals über ein echtes oder bewusstes Erleben verfügen. Mit You Only Look Once schafft Barnard ein Bewusstsein für die Parallelen und Unterschiede zwischen menschlichem, tierischem und maschinellem Bewusstsein sowie für die Momente, in denen das Erkennen von Welt in deren aktive Gestaltung übergeht. Indem sie reflektiert, wie stark die globalen Multikrisen der Gegenwart miteinander verflochten sind, formuliert sie nicht zuletzt einen Kommentar auf die grundsätzlichen Verstrickungen maschineller „Autonomie“. In einer Zeit, in der sich die Klimakrise zuspitzt, stellt sich die Frage, wie Technologien entwickelt werden können, die nicht nur effizient, sondern auch sensibel gegenüber der Welt sind, die sie erfassen sollen.

Isadora Romero. Notes on How to Build a Forest
In ihrem ausgezeichneten Projekt entwickelt die ecuadorianische Fotografin Isadora Romero eine vielschichtige visuelle Erzählung über zwei Nebelwälder ihres Heimatlandes: die Gemeinde Yunguilla im Biosphärenreservat Chocó Andino de Pichincha nahe der Hauptstadt Quito und das Reservat Mache-Chindul nahe der Pazifikküste. Ihre Arbeit eröffnet einen sensiblen, poetischen Blick auf Formen des Zusammenlebens mit dem Wald in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. In enger Zusammenarbeit mit lokalen Gemeinschaften, Wissenschaftler:innen und Forschungsorganisationen sind über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr Fotografien entstanden, die ihren Ausgangspunkt in gemeinschaftlich organisierten Aufforstungsinitiativen, agroökologischen Praktiken und nachhaltigen Formen der Bewirtschaftung finden. Romeros künstlerische Praxis bewegt sich zwischen dokumentarischer Fotografie und experimentellen Verfahren. In der Ausstellung treffen Materialexperimente mit Pflanzen und Textilien auf durch die Luftfeuchtigkeit des Waldes veränderte Fotografien lokaler Familienarchive. Zudem eröffnet der Einsatz von Infrarot- und UVTechnologien eine spekulative Perspektive auf die Wahrnehmung tierischer Waldbewohner:innen. Ein zentrales Motiv ihrer Auseinandersetzung ist der generationenübergreifende Wissenstransfer. Hierunter fasst Romero auch das überlieferte Wissen indigener Kulturen wie der Yumbo und Jama Coaque. Sie folgt den Spuren präkolumbianischer Handelswege, den sogenannten culuncos, und fotografiert außerdem Artefakte aus lokalen Museen, die sie auf farbenprächtigen Stoffen in Szene setzt. Notes on How to Build a Forest ist eine dekoloniale Reflexion über unser Verhältnis zur Natur. Romero gelingt hier eine nuancierte Erzählung über den Wald als lebendigen Organismus, die ihn nicht auf seine Zerstörung, seine Rolle als CO2-Speicher oder als westlich romantisierte Projektionsfläche „unberührter Natur“ reduziert. Die Arbeit fragt nach möglichen Zukünften des Waldes – als geteilter Lebensraum, Ort des kollektiven Gedächtnisses und kultureller Aushandlungen – und nicht zuletzt als Spiegel globaler Verantwortung im Zeitalter des Anthropozäns.

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